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Berufseinstieg Betreuung von Hartz IV-Empfängern – Die Arbeitsbedingungen in Jobcentern

Den Hochschulabschluss in der Tasche und auf Jobsuche? Hier springt häufig die Bundesagentur für Arbeit ein. Nicht als Arbeitsvermittler, sondern als Arbeitgeber. Hartz IV-Anträge prüfen und bewilligen gehört dann zum Alltag der Berufseinsteiger. Unvorbereitet treffen sie auf eine fremde Welt und lernen Arbeitsbedingungen kennen, unter denen Kunden und Mitarbeiter leiden.

Frisch von der Uni und auf Jobsuche. Das traf auch auf Katharina (32 Jahre) aus Hamburg* zu. Vier Monate war sie arbeitssuchend, dann bot ihr ihre Arbeitsvermittlerin eine Stelle in einem Jobcenter an. Die studierte Betriebswirtin griff zu, denn das Geld wurde knapp und die Stelle klang besser als erwartet. Selbstständige Hartz IV-Bezieher betreuen, Geschäftsmodelle und Bilanzen bewerten, das hatte ja auch mit ihrem Studium zu tun.

Die Realität sah dann doch anders aus. Eigentlich habe ich Weiterbewilligungsanträge für Hartz IV-Leistungen bearbeitet, sagt Katharina. Komplettes Neuland für die 32-Jährige, die in ihrem BWL-Studium nie etwas über Sozialgesetzgebung gelernt hatte. Eine vorbereitende Schulung oder Ähnliches gab es nicht. Ihre Teamleiterin hatte ihr sogar geraten, sich auf keinen Fall vorzubereiten.

„Ich wurde komplett ins kalte Wasser geworfen“

Ich habe dann einfach Gesetze und interne Richtlinien gelesen und mich „durch das Intranet gewurschtelt“. Und so oft wie möglich nachgefragt, erzählt Katharina. Sie hatte das Glück, immer auf ihre Teamleiterin zugehen zu können. In den meisten anderen Teams ein Tabu, sagt sie. „Da sind zwar auch noch die Kollegen, aber deren Arbeit bleibt ja jedes Mal liegen, wenn sie sich für die Neuen Zeit nehmen. Deshalb hält sich das in Grenzen.“ Intensive Einarbeitung sieht in jedem Fall anders aus.

Eine zweitägige Schulung gab es zum ersten Mal drei Wochen nach Arbeitsbeginn. Aber in zwei Tagen lässt sich einfach nicht vermitteln, was man alles wissen muss. Schon gar nicht, wenn es, wie in meinem Fall, komplettes Neuland ist, sagt Katharina.
Kundenkontakt hatte sie trotzdem schon in ihrer zweiten Arbeitswoche. Am Telefon ein Hartz IV-Bezieher, der sich lautstark über eine Leistungskürzung beschwerte. Da habe ich mich schon überfordert gefühlt, so die 32-Jährige.

„Statt erfahrene Mitarbeiter zu halten, wird einfach jemand Neues eingestellt“

Wie Katharina kommen viele neue und unerfahrene Mitarbeiter in die Jobcenter oder zu den Arbeitsagenturen. Und häufig bleiben die Seiten- oder Quereinsteiger nicht lange. Katharinas Arbeitgeber war eine Tochtergesellschaft der Stadt, die sie für zwei Jahre einstellte. Dieser Umweg ermöglicht es, Mitarbeiter nach Ablauf der zwei Jahre wieder befristen zu können, diesmal mit einem Arbeitsvertrag bei der Bundesagentur für Arbeit (BA). „Nach insgesamt vier Jahren ist aber für die meisten Schluss, Entfristungen gibt es selten.“ Statt erfahrene Mitarbeiter zu halten, wird jemand Neues eingestellt oder die Stelle bleibt eben leer, sagt Katharina.

Die immense Mitarbeiterfluktuation ist ein großes Problem, heißt es in einer gemeinsamen Resolution der Jobcenter NRW. Abgesehen davon, dass ständig neu eingearbeitet werden müsse, gehe mit dem ausscheidenden Personal wichtiges Wissen verloren, so das Papier. Dass die neuen Mitarbeiter, wie Katharina, vielfach keine fundierte Verwaltungsausbildung haben, erschwere die Situation zusätzlich. Und natürlich seien die ständig wechselnden und unerfahrenen Ansprechpartner nicht zuletzt für die Kunden ein großes Problem, resümiert der von ver.di herausgegebene Jobcenter-Report Köln.

„Man kann das nicht alles überblicken“

Oft kennt man sich einfach nicht wirklich aus, gibt Katharina zu. Und das nicht nur in der Anfangszeit. Trotz monatlich ein bis zwei Schulungen war es auch später nahezu unmöglich, das alles komplett zu überblicken, so die 32-Jährige. „Es ändert sich ja auch ständig was.“

Auch der Jobcenter-Report spricht dieses Problem an. Die Aufgaben werden immer komplexer, die Mitarbeiter können dem zunehmend nicht mehr entsprechen, heißt es dort. Denn die Liste der Gesetzbücher, die Mitarbeiter im Leistungsbereich bei ihrer Arbeit berücksichtigen müssen, ist lang. Die Resolution der Jobcenter NRW kommt auf eine nicht abschließende Zahl von 26. Allein die Sozialgesetzbücher I bis XII haben zusammen rund 1.700 Seiten. Seit den Hartz-Reformen hat es zudem mehr als 60 Gesetzesänderungen gegeben. Die fachlichen Hinweise für die Arbeit, die die BA herausgibt, haben sich seither über 260-mal geändert. Die Mitarbeiter arbeiten zudem mit elf verschiedenen BA-eigenen PC-Programmen.

„Ausführliche und kompetente Beratung ist nicht möglich“

Die Arbeit ist komplex und der Zeitdruck hoch. Zeit für eine ausführliche und kompetente Beratung der Kunden, die die komplizierten Bescheide häufig nicht verstehen, bleibt eigentlich nicht, resümiert Katharina. Für die 32-Jährige, die vor ihrem Studium eine Ausbildung zur Hotelfachfrau gemacht hat, war das besonders schwer. „Ich hatte anfangs noch diese Servicebereitschaft im Hinterkopf, immer freundlich sein und so. Aber das gewöhnt man sich schnell ab.“

Alles muss einfach extrem schnell gehen. Und was nicht dringend ist, bleibt liegen, sagt Katharina. An ihrem ersten Arbeitstag hatte sie so bereits drei Ordner unbearbeiteter Post und Anträge auf ihrem Schreibtisch liegen – übriggeblieben vom Vorgänger.

Und unter hohem Zeitdruck bleiben auch Fehler nicht aus. Das ist natürlich abhängig vom Schwierigkeitsgrad, aber etwa jeder vierte oder fünfte Beleg ist sicher falsch, schätzt Katharina. Auch die Jobcenter-Resolution berichtet von Qualitätsverlust und steigenden Fehlerraten durch Überforderung des Personals. Dass die Kunden dann emotional werden, versteht Katharina. Trotzdem sei es schwer, mit aggressivem Verhalten umzugehen. Wenn zum Beispiel wichtige Belege auch nach mehrfacher Aufforderung nicht eingereicht werden, sind den Mitarbeitern ja auch die Hände gebunden, erklärt sie.

Der Job im Leistungsbereich ist Emotionsarbeit

Die Mitarbeiter in den Jobcentern bearbeiten existenzielle Fragen der Kunden. Das bedeutet: Hohe Emotionalität, geringe Frustrationstoleranz, Verzweiflung und hohe Aggressivität bei den Kunden – Arbeit unter hoher psychischer Belastung für die Mitarbeiter, so die Resolution der NRW-Jobcenter. Auch eine neuere Studie der Werkstatt für Organisations- und Personalforschung e. V. urteilt, die spezifische Arbeitssituation in den Jobcentern sei durch starke psychische Belastung charakterisiert.

Beschäftigte im Leistungsbereich machen Emotionsarbeit unter oft hoher Arbeitsbelastung, fasst eine Studie der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung (DGUV) zusammen. Die Befragung von Mitarbeitern in Arbeitsgemeinschaften nach Hartz IV zu Arbeitsbelastungen und Bedrohungen ergab unter anderem, dass ein Viertel der Befragten schon einmal Opfer eines Übergriffs geworden sei. Extreme Bedrohungen wie Gewalttaten, sexuelle Aggressionen oder Bedrohung mit einer Waffe würden etwa monatlich beobachtet. Täglich seien die Mitarbeiter verbalen Aggressionen ausgesetzt, wöchentlich werde randaliert, so die Studie weiter. Ergebnisse, die besonders seit den drei tödlichen Angriffen auf Jobcenter-Mitarbeiter, zuletzt in Rothenburg ob der Tauber, wenig verwundern.

Katharina kann die Ergebnisse nur bestätigen: Persönliche Beleidigungen, Drohungen und aggressives Verhalten waren auch in ihrem Jobcenter an der Tagesordnung. Man muss schon hartgesotten sein und darf nicht alles an sich ranlassen, sagt sie. Und auch wenn sie sich selbst nie ernsthaft gefährdet gefühlt hat, vielen Kollegen ging es anders. Der Panikknopf auf der Tastatur der Beschäftigten mit Kundenkontakt ging Anfang des Monats zwei-, dreimal am Tag, so die 32-Jährige. Ein Kollege erhielt Morddrohungen. Das war das extremste Erlebnis, sagt Katharina.

Aber natürlich sind nicht alle Kunden so, stellt sie klar. „Viele sind sehr sympathisch und natürlich fühlt man dann mit.“ Aber auch das ist nicht einfach. Katharina hat das gleich zu Beginn deutlich zu spüren bekommen. Ihr erster Arbeitsmonat war November, kurz vor Weihnachten. Da wiegen materielle Sorgen noch schwerer und die Bitten um zusätzliche Leistungen werden dringlicher: „Die Kinder verhungern“, „Es ist kein Geld für Weihnachtsgeschenke da“, hörte Katharina fast täglich. Gerade zu Anfang hat sie oft geweint, sagt die junge Frau. Wegen der Belastung, aus Mitleid, aber auch aus Wut. „Aber mit der Zeit lernt man, eine gewisse Distanz aufzubauen. Anders geht das nicht.“

Geringe Arbeitszufriedenheit, hoher Krankenstand

Wie groß die Arbeitsbelastung ist, lasse sich deutlich am hohen Krankenstand und den langen Krankheitszeiten der Mitarbeiter ablesen, so der Jobcenter-Report Köln. Auch Katharina konnte beobachten, dass viele Kollegen wegen der hohen Belastung sehr oft krank waren. Für die junge Frau durchaus verständlich: „Zwischendurch muss man auch einfach mal zur Ruhe kommen.“ Ihr Vorgänger war durch Burnout ausgeschieden, ein Kollege entwickelte einen Stress-Tinnitus. „Mitarbeiter im Leistungsbereich der Jobcenter sind überdurchschnittlich häufig von Burnout betroffen“, heißt es in der Studie der DGUV.

Ohne ausreichend Ausgleich im privaten Bereich geht der Job auf Dauer nicht, sagt Katharina. „Man braucht schon ein stabiles persönliches Umfeld, viele Hobbies oder so etwas.“ Die Arbeit darf nicht das Leben sein, resümiert sie. „Ich glaube, nur eine Kollegin hat ihren Job wirklich gerne gemacht.“ Über den Rest sagt Katharina: „Die sind da halt so reingerutscht und machen es einfach.“ Viele bewerben sich weg, andere haben resigniert. „Vielen ist auch alles völlig egal.“ So wollte ich nicht werden, erklärt Katharina bestimmt.

Von Anfang an hat sie sich deshalb weiterbeworben und die Stelle im Jobcenter eher als Notlösung betrachtet. Trotzdem hatte sie Angst, dass sie „am normalen Arbeitsmarkt“ nicht mehr unterkommt. „Die Arbeit im Jobcenter qualifiziert Dich ja für nichts anderes“, sagt sie. Umso glücklicher ist sie, dass es nach 14 Monaten endlich geklappt hat. Inzwischen arbeitet Katharina im Controlling eines großen Handelsunternehmens.

Mit ihrer neuen Stelle ist sie mehr als glücklich. Bessere Bezahlung, höhere Wertschätzung und weniger Stress, erzählt sie strahlend. Anfangs war es richtig ungewohnt für mich, zwischendurch auch mal durchatmen zu können, lacht die 32-Jährige. Dass die Arbeit in der freien Wirtschaft deutlich entspannter sein würde als in einem Jobcenter des öffentlichen Dienstes, das hätte sie vorher kaum geglaubt. Und das bei deutlich besserer Bezahlung inklusive Urlaubs- und Weihnachtsgeld. Ob sie die Arbeit im Jobcenter nochmal machen würde? Nicht freiwillig, sagt sie.

*Name und Ort von der Redaktion geändert

Zum Weiterlesen:

Arbeitsgruppe der LAG NRW, Die Arbeitssituation in den Leistungsbereichen der Jobcenter NRW

Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung, Arbeitsbelastungen und Bedrohungen in Arbeitsgemeinschaften nach Hartz IV – Abschlussbericht

Werkstatt für Organisations- und Personalforschung e.V, Arbeitsbedingungen in Jobcentern – Gemeinsame Einrichtungen nach § 44b SGB II Mitarbeiterbefragung zum Arbeitsumfeld,psychischer Belastung und Arbeitszufriedenheit

Jobcenter-Report Köln